REISEBERICHT:
Johannes in New York City
ERSTER
TAG: Montag, 15. 2
Ich stehe
in aller Herrgottsfruehe auf und mach mich auf den Weg Richtung downtown
Buffalo, wo mein Zug um 8.50 Richtung New York City abfaehrt. In Erwartung
eines gros-sen Bahnhofes bieg ich um die letzte Ecke und sehe - eine
winzige Backsteinbude, viel-leicht 18 x 11 m im Grundriss. Voellig
unglauebig, dass dieses Ding der Hauptbahnhof einer Stadt von knapp
800.000 Einwohnern sein soll, frage ich die Ticketverkaeuferin, ob
das die Einstiegsstelle fuer den Zug nach NY ist. Sie wundert sich
ob meines fassungslosen Gesichtsausdruckes und versichert mir, dass
ich hier durchaus richtig bin. Naja, gut zwei Meilen hinter dieser
Wunzstation lueftet sich das Geheimnis um die glorreiche Vergangen-heit
des amerikanischen Eisenbahnwesens: Wir passieren eine riesige Ruine
- den ehema-ligen Hauptbahnhof von Buffalo. Mir als altem Bahnfahrer
mit angesichts dieses Elends gebrochenem Herzen stellt sich natuerlich
die unvermeidliche Frage: Amerikanisches Eisenbahnwesen - QUO VADIS?
Nach diesem ersten schockierenden Eindruck gestaltet sich die weitere
Reise durchaus angenehm, wir fahren durch eine teils flache, teils
huegelige und in einigen Abschnitten sogar leicht gebirgige Landschaft,
die in weiten Teilen erstaunlich naturbelassen ist. Rechts und links
des Bahndammes erstrecken sich sumpfige Auwaelder, wir folgen dem
Mohawk River und spaeter dem Hudson, die beide relativ wenig reguliert
sind. Und nach ueber siebenstuendiger Fahrt tauchen die ersten Haeuser
der NYer Vororte auf. Wir fah-ren durch den noerdlichsten der fuenf
Stadtteile, die Bronx, ueberqueren einen Seitenarm des Hudson und
fahren schliesslich in die Penn-Station ein, mitten im Herzen Manhattans.
Ich kaufe mir eine Wochenkarte fuer die oeffentlichen Verkehrsmittel
(17 Dollar, was fuer eine Stadt dieser Groessenordnung gar nicht so
viel ist) und fahre mit der U-Bahn zur Jugendherberge in der Amsterdam
Avenue, Ecke 103. Strasse.
Wie sich herausstellen sollte, leider ein unsympathischer Ort: Ich
schlafe in einem 4-Mann Zimmer, indem nichts ist ausser zwei Stockbetten
- kein Tisch, kein Sessel, keine ab-sperrbaren Kaesten, lediglich
ein Kleiderhaken, der seines Namens nicht wuerdig ist, denn er ist
genau das nicht, was er vorgibt zu sein: ein Haken. Im Klartext ausgedrueckt:
Ich kann gerade mal meine Jacke aufhaengen, alles andere wird gnadenlos
abgeworfen. In der Nacht stellt sich schliesslich heraus, dass das
Leintuch nicht gross genug ist und sich staendig von den Kanten der
40 cm dicken mit einer ekelhaften Kunststoffschicht ueber-zogenen
Matratze loest. Doch damit nicht genug: Irgendwann um halb fuenf Uhr
morgens taucht der vierte Mitbenuetzer meines Zimmers auf, wie es
scheint arabischer Herkunft, und versucht die Raumtemperatur auf das
fuer ihn gewohnte Mass anzuheben, indem er die Heizung bis zum Anschlag
aufdreht und den Ventilator einschaltet. Bis halb sieben lieg ich
schwitzend im Bett auf ekligem Kunststoff geplagt vom RATTARATTA des
klappernden Ventilators bis ich mich schliesslich endgueltig wachquaele
und die Jugendherberge in Richtung Stadtzentrum verlasse. Aber eigentlich
ist jetzt schon der
ZWEITE
TAG: Dienstag, 16.2.
Ich lasse mich stundenlang durch die Strassen NYs treiben, irgendwie
ein eigentuemlicher Ort mit bemerkenswert vielen und bemerkenswert
hohen Haeusern. Um 11 fahre ich zum Lincoln-Center in der 66. Strasse
und kaufe mir eine Karte fuer das abendliche Konzert des NY Philharmonic
Orchestra: Borodin 2. Symphonie, Debussy La Mer, und vor allem Bartok
Der wunderbare Mandarin, eines meiner absoluten Lieblingsstuecke,
stehen auf dem Programm. Am Nachmittag besuche ich das Guggenheim
Museum und kaufe mir eine Karte fuer das Mittwochspiel der NY Rangers
gegen die Montreal Canadiens (EISHOCKEY - fuer die Banausen unter
Euch) im Madison Square Garden. Auf der Suche nach besagtem Madison
Square Garden frage ich einen Einheimischen nach dem Weg dorthin und
bekom-me die mehr als kryptische Antwort: "Just go ahead, it's a huge
building on the left side, you can't miss it!" Offensichtlich gehoert
es zum Verarschungsinstrumentarium der NYer Stadtbevoelkerung ahnungslose
Touristen in einer Stadt voller huge buildings zu einem ganz bestimmten
huge building zu schicken, dass sich dadurch auszeichnet, dass es
ein huge building ist, dass nicht verfehlt werden kann, weil es eben
ein huge building unter anderen huge buildings ist. Nichtsdestotrotz
finde ich den Weg und kaufe mir die Karte. Das Konzert war sehr angenehm,
toughe Jungs diese NY Philharmonics. Das Mozarteum-Orchester haette
spaetestens bei Bartok klaeglich versagt.
DRITTER TAG: Mittwoch, 17.2
Leider laesst das Wetter etwas nach. Die ersten beiden Tage waren
sehr sonnig, heute ist es so richtig diesig - ein guter Tag, um sich
fuer zwei Stunden den Massentouristen anzuschliessen: Freiheitsstatue
besuchen und Skyline bewundern. Am Nachmittag treibt es sich mich
wieder durch die Stadt, am Union Square dreht mir ein Strassenverkaeufer
eine Eintrittskarte fuer einen Stand-up Comedy Club an. Ich lasse
mir das Ding durchaus gerne andrehen, der Donnerstagabend ist noch
unverplant. Ausserdem war ich noch nie in einem solchen Club, also
warum nicht ein paar Dollar ins Blaue hinein riskieren? Abends endlich
das Eishockeyspiel, der Madison Square Garden ist fast ausverkauft,
die Stim-mung gut. Leider ist das Spiel nach sechs Minuten praktisch
tot und die Stimmung am Boden, weil die Rangers innerhalb von 48 Sekunden
drei Tore kassieren. Unter dem Applaus des Publikums wird der Torhueter
ausgewechselt (der an den Toren weitgehend schuldlos war). Die Canadiens
geben die Fuehrung nicht mehr aus der Hand, sobald die Rangers ins
Spiel kommen und ein Tor erzielen, stellen die Canadiens postwendend
den alten Abstand wieder her. Das Spiel endet schliesslich vor halbleeren
Raengen 3:6. Kommentar eines frustierten Besuchers: "Business as usual".
Zwei Tage spaeter fegen die Rangers die Pittsburgh Pinguins 6:1 vom
Eis. Arschloecher.
VIERTER TAG: Donnerstag, 18. 2.
Das Wetter erreicht am Vormittag seinen Tiefpunkt, es regnet. Heute
steht das Museum of Natural History auf dem Programm, wie sich weisen
sollte, eine durchaus interessan-ter Programmpunkt. Vier Stockwerke
mit mehreren riesigen Saelen auf jeder Ebene und jeder Menge Besucher,
vor allem kreischende Kids und kamerabewehrte Touristen. Das oberste
Stockwerk ist das bemerkenswerteste. Es beherbergt eine fantastische
Dino-saurierausstellung, hervorragend aufbereitet in von viel natuerlichem
Licht durchfluteten Raeumlichkeiten. Besonders faszinierend war aber
die Vivisektionsabteilung, die von Mitarbeitern des IFTCSTOIA (Institute
for the completely senseless torture of innocent animals) betreut
wird. In einem grossen Raum wird dort drei mal pro Tag zur Erheiterung
des Publikums ein unschuldiges, armes und voellig veraengstigtes Tier
waehrend einer halbstuendigen Liveshow sinnlos zu Tode gequaelt. Ich
verzichte aus Zeitgruenden auf die Show und konzentriere mich auf
die Durchwanderung saemtlicher Saele und Stock-werke. Nach vier Stunden
ist die Aufnahmebereitschaft meiner Sinnesorgane erschoepft und ich
verlasse das Museum. Der Regen hat aufgehoert. Am Abend gebe ich mir
tat-saechlich die Stand-up Comedy Show. Der Club bietet knapp 150
Leuten Platz und ist an diesem Abend ziemlich voll. Die Show ist phasenweise
ziemlich witzig, eine Art Conferen-cier fuehrt die Leute durchs Programm
und stellt die einzelnen Komiker vor. Vor allem der letzte, ein Afroamerikaner
mit NYer Slang spielt in fast schon genialer Manier mit den Publikumsreaktionen
und baut sie besser als jeder seiner Vorgaenger - obwohl auch die
durchaus ansprechend waren - in sein eigenes Programm ein.
Der kroenende Abschluss meines Kurzaufenthaltes sollte aber der Besuch
in einem NYer Undergroundclub namens Continental werden. An diesem
Abend findet eine Art Auf-nahmesession statt, ein gutes Dutzend Szenebands
treten auf, jede spielt nur 5-6 Songs. Ich hoere nur mehr die letzten
vier Gruppen, da ich erst gegen halb zwoelf dort ankomme. Die erste
Band beginnt ihr Konzert mit einer Publikumsbeschimpfung, die aber
offensichtlich zu deren Ritual gehoert, deren kleiner aber harter
Fankern jedenfalls amuesiert sich koestlich: "Fuck you, and you, and
you, fuck that bloody guy in the first row, fuck the bloody bitch
in the second row and especially fuck that fucking Austrian tourist
with the red shirt he never changes. THIS IS PUNK and this song is
called FUCK YOU!!!". Die Band legt los, das Publikum tanzt Pogo und
bangt was die heads hergeben:
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDIROEHRROEHRROEHRROEHR
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDI - "FUCK YOU!!!" -
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDIROEHRROEHRROEHRROEHR
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDI - "Thank you!"
"You know, we all hate Giuliani!" (Buergermeister von NY,
der durch hartes Durchgreifen die Kriminalitaetsrate der Stadt senken
will) "So fuck Giuliani! I wanna hear you say FUCK Giuliani!"
- Publikum: "FUCK GIULIANI!" - Saenger: "I wanna hear you
say FUCK the Cops!" (Cops: negativ besetzter Begriff fuer Polizist.
Ausfuehrende Organe der giulianischen Massnahmen; fielen durch eine
Reihe brutaler und voellig uebertriebener Aktionen gegenueber der
Zivilbevoelkerung auf) - Publikum: "FUCK THE COPS!" - Saenger:
"YEAH! This one is called FUCKIN BITCH!"
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDIROEHRROEHRROEHRROEHR
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDI - "HEY YOU FUCKIN BITCH!!!" -
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDIROEHRROEHRROEHRROEHR
BUMPDIBUMPDIBUMPDIBUMPDI - "Thank you!"
FUENFTER TAG: Freitag, 19. 2. Tag der Abreise. Keinen besonderen Vorkommnisse.
Liebe Gruesse, Euer Hannes
(Ihr habt Euch jetzt wohl noch eine Abschlussbeschimpfung erwartet.
Ha! Ich bin eben unberechenbar.)
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